Harmonie? Nicht um jeden Preis!

Wer im Internet nach einem Gegensatz zum Attribut „konfliktscheu“ forscht, stößt unweigerlich auf den Begriff „streitsüchtig“. Aber ist, wer Auseinandersetzungen nicht meidet wie der Teufel das Weihwasser, wirklich süchtig nach Ärger und Streit? Ich denke nicht. Im Gegenteil: Ich glaube, neben Teamgeist, Einfühlungsvermögen und Selbstdisziplin gehört auch eine gesunde Konfliktfähigkeit zu den wesentlichen Eigenschaften, die uns erfolgreich machen. Denn allzu große Harmoniebedürftigkeit sorgt zwar zunächst für bessere Stimmung, sie bringt uns aber einfach nicht weiter.

Harmonie. Schon das Wort klingt wie Musik in unseren Ohren. Oft leider ist sie ein Trugschluss oder nur Auswirkung unserer eigenen Unfähigkeit, Konflikte zuzulassen und uns mit Menschen und Dingen direkt und konstruktiv auseinanderzusetzen. „Harmoniesucht verzerrt die Sicht auf Probleme. Sie kann Entscheidungsprozesse lähmen, Innovationen verhindern und notwendige Veränderungen blockieren. Zu viel Harmonie vergiftet die Stimmung. Sie führt zu Verdrängung – und am Ende erst recht zum Konflikt“, schreibt Thomas Vasek in seinem Buch „Die Weichmacher. Das süße Gift der Harmoniekultur.“

Keine Änderungsimpulse

Ähnlich und doch etwas differenzierter sieht es der Psychologe Louis Schützenhöfer. In seinem Buch "Die Harmoniefalle"  beschreibt er, dass Harmonisierungsprogramme quasi zu unserer genetischen Grundausstattung gehören: Das Streben nach innerer und äußerer Harmonie ist folglich ein Grundmotiv des Menschen. Dennoch sieht auch er die Schattenseiten der Harmonie: „Im Zustand der Harmonie gibt es keine Änderungsimpulse.“ Spricht Thomas Vasek sehr plakativ von „Harmonieterroristen“, formuliert Louis Schützenhöfer etwas vorsichtiger: „Eine in sich stimmige, konsistente Person wird ob ihrer Verlässlichkeit und Berechenbarkeit von den Mitmenschen geschätzt, doch erst Vielfalt, Widersprüchlichkeit und Änderungsbereitschaft ergeben eine interessante Persönlichkeit.“

Wie wichtig es für die Weiterentwicklung eines Teams ist, dass Konflikte zugelassen werden, Mitglieder ihre eigene Meinung auch mal gegen Widerstände vertreten, dass man sich Auseinandersetzungen ganz bewusst stellt und daraus Erkenntnisse gewinnt, das können Organisationspsychologen in ihrer Forschung schon lange belegen. Homogenität im Team erzeugt Harmonie, doch steht sie oft auch neuen Ideen im Weg. Sind sich die meisten Teammitglieder sehr ähnlich, haben abweichende Ideen kaum eine Chance. Querdenkende, unangepasste Teammitglieder dagegen bringen Innovationen – sie sorgen gleichzeitig aber auch für Konflikte.  

Aufgestaute Emotionen

Wohlgemerkt: Ich spreche hier nicht über strukturelle Konflikte, wie sie Unternehmen etwa nach einer Fusion oder einer Übernahme durch ein anderes Unternehmen durchleben. Vielmehr spreche ich von Auseinandersetzungen, wie sie uns im persönlichen und beruflichen Bereich alltäglich begegnen.

Die wenigsten stürzen sich mit Freude in den Streit. Der erste Konflikt der geführt werden muss, ist schließlich der mit mir selbst: Lohnt sich der Einsatz? Ist diese Person es wert mit ihr zu streiten? Was kann sich für mich verändern? Nicht selten zeigt sich aber: Konflikte auszusitzen ist keine langfristige Lösung. Oft stauen sich dabei negative Emotionen auf, um sich dann wie bei einem Gewitter in einem riesigen Donnerwetter zu entladen. Plötzlich explodieren wir – und treffen mit unserem geballten Ärger die anderen völlig unerwartet.

Selbstbewusste Menschen sind konfliktfähiger

Sich und seinem Anliegen Gehör zu verschaffen, das hat auch etwas mit Selbstbewusstsein zu tun. Selbstsicheren Menschen fällt es deutlich leichter ihren Standpunkt klar zu formulieren und dabei auch Konfliktpotenziale zuzulassen. „Zu seiner Überzeugung zu stehen, auch wenn diese nicht mit der Mehrheitsmeinung übereinstimmt, verlangt Mut und kostet Kraft, doch es vermittelt einen Selbstwert, der nicht vom Beifall der anderen abhängig ist“, unterstreicht Louis Schützenhöfer. Streitsüchtig ist man deshalb noch lange nicht.

Geht du Auseinandersetzungen lieber aus dem Weg?

5 Tipps für deine persönliche Streitkultur

Erstens: Übung macht den Meister!

Wenn du Klavierspielen lernen möchtest, musst du lange üben, um die Klaviatur zu beherrschen. Auch eine Sprache zu erlernen geht nicht von heute auf morgen. Du drückst dich gerne um notwendige Auseinandersetzungen? Du gehst gerne den Weg des geringsten Widerstands und bist damit aber unzufrieden? Auch wenn du eher eine harmoniebedürftige Persönlichkeit bist: Du kannst durchaus lernen, wie du Konflikte zulässt und dich konstruktiv, aber bestimmt mit anderen auseinandersetzt. Ein paar Einsichten sind dafür sicher wichtig, aber vor allem eines: ganz viel Übung!

Zweitens: Denke dich in deinen Konfliktpartner ein!

Couragiert die eigene Meinung zu vertreten, Missstände klar anzusprechen, das Verhalten anderer zu kritisieren, das ist dein gutes Recht. Dennoch solltest du vor einer Auseinandersetzung auch versuchen, die Welt einmal durch die Augen deines Konfliktpartners zu sehen. Das bedeutet nicht, dass du sein Verhalten bzw. seine Meinung deshalb billigen musst, du solltest jedoch versuchen, dich in die konkrete Situation und den anderen Blickwinkel zu versetzen. Das hilft dir anschließend auch bei deiner Argumentation. Entscheide vorher, was du sagen möchtest - und was nicht.

Drittens: Suche das Gespräch!

Wenn du einen beruflichen oder persönlichen Konflikt vermeidest, hast du in der Regel Angst vor einer bestimmten Reaktion. Möglicherweise hast du in einer vorherigen Konfliktsituation schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht. Wenn dir etwas wichtig erscheint, wenn dich etwas stresst oder wütend macht, gibt es aber keine Alternative: Du musst das Gespräch suchen. Wenn du einen Konflikt anpackst, hast du zumindest die Chance, etwas zu verändern, wenn du jedoch nichts unternimmst, wird sich nichts tun und du wirst dich weiter ärgern.

Viertens: Streite respektvoll!

Eine Auseinandersetzung bedeutet nicht das Ende von Wertschätzung. Im Gegenteil: Willst du Konflikte konstruktiv lösen, gehört dazu auch eine gehörige Portion Respekt. Versuche in deiner Argumentation stets bestimmt, aber sachlich zu bleiben, denn mit persönlichen Aussagen auf der Beziehungsebene erreichst du meist nur eines: Dass dein Gesprächspartner „dicht macht“ und dein Anliegen und deine Argumente gar nicht mehr wahrnehmen wird. Der Konflikt eskaliert. Frage dich doch einfach zuerst, warum dir diese Person eine Auseinandersetzung wert ist. Was schätzt du, was magst du an ihr? Behalte das bei deinem Streitgespräch stets im Hinterkopf und werde nicht persönlich beleidigend.

Fünftens: Ziehe Bilanz!

Wie gesagt: Auch beim Austragen von Konflikten macht Übung den Meister. Du musst keinen Sport daraus machen, aber du solltest nach jedem Konflikt kurz Bilanz ziehen: Warum war dir wichtig, diesen Konflikt mit dieser Person zu lösen? Wie verlief das Gespräch? Wurde der Ansatz für eine Lösung gefunden? Der Konflikt vielleicht beigelegt? Oder schwelt er weiter? Was konntest du aus dem Gespräch lernen? Was hast du bei diesem Streitgespräch besser gemacht als bei vorherigen? Welche Fehler hast du gemacht, die du in Zukunft vermeiden möchtest?

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